Nikolaus

Die unendliche Weihnachtsgeschichte
Eine Geschichte von Michael Riesche,
Illustriert von Wilfried Ulrich

Die Sonne versinkt schon am Horizont, taucht ein in ein Meer aus purpurnem Licht,
irgendwo dort, wo jener wohnt, dem ein Rauschebart ziert sein altes Gesicht.

Heut ist sein Tag, so lang ersehnt von vielen tausend Kindern, die seines Kommens harren,
am Fenster gelehnt – und niemand wird ihn daran hindern!

Hinein in die Stiefel, die hochglanz-geputzt, hinein in den Mantel, der sooft benutzt,
hinein in die Socken, die – halt! Das war verkehrt! Erst mal die Füße wieder aus den Stiefeln gezerrt.

Vorab nun erst die warmen Schurwoll-Socken und nach den Stiefeln noch mal kurz
durch die Locken bevor die Zipfelmütze darüber gerafft. So! – Das ist geschafft!

Halt! Stopp! Der Spiegel! Da muss er noch hin, nur ein Blick, ganz kurz und sodann:
Den Bauch eingezogen und hoch das Kinn! Oh ja, gut schaut er aus: Der Weihnachtsmann!

Ein unruhiges Schnauben erreicht sein Ohr, „Die Tiere!“ so fällt ihm plötzlich wieder ein,
sie warten schon draußen vor dem Tor. Und so reißt er sich los und lässt sein Spiegelbild allein …

Er schreitet zum Schlitten, der voll beladen, mit all den Träumen vom Mädchen und Knaben,
mit Teddybären, Puppen und Kaufmannsladen und all‘ den Dingen, die Kinder gernhaben

Kaum hat er dann seinen Schlitten erklommen, ist das große Gespann in Fahrt gekommen
und mit immer größerer Geschwindigkeit rasen sie der Erde entgegen durch Raum und Zeit.
Berg, Tal, Wald und See, alles liegt unter Eis und Schnee.
Bäume, die wie kühne Recken sich durchs Weiß gen Himmel strecken.

Erfüllt ist jene kalte Luft mit einem weihnachtlichen Duft, denn angenehme Wohlgerüche strömen fast aus jeder Küche: Champignons in Speck geschmort, Salz und Pfeffer hie und dort, edel süßer Paprika, alles wird zusammen gar. Petersilie, frisch und fein und auch Weißbrotwürfel, klein, Zwiebel, Möhren und Tomaten, alles für den Gänsebraten! Das ist nicht der einzige Duft, der hinausschwebt an die Luft:

Zimt, Anis und Koreaner, mischen sich jetzt durcheinander, auch erahnt man riesengroße
Bratäpfel in süßer Soße.

In Gedanken ganz versunken fährt der Alte wie betrunken.
Was ein Magen so begehrt, wird jetzt ohne ihn verzehrt!

Nur ein Windstoß bringt zum Glück ihn in die Wirklichkeit zurück.

So bremst er dann vorm ersten Haus und springt kühn aus dem Schlitten raus,
bedenkt nicht, dass der Weg voll Eis, rutscht aus, fällt hin und denkt: So’n Schei …!“
Doch als er hört ganz leis von innen Singen zarter Kinderstimmen,
wird Ihm wieder wohl ums. Herz und vergessen ist der Schmerz

Nur aus Neugier späht er durch ein Fenster, erschrickt gar sehr, da sind … Gespenster!
Noch ein Blick: Ach nein! Es hängt an einem Haken nur ein blütenweißes Laken!

Glück gehabt! Jetzt mal ein and’rer Raum: Da sieht er einen buntgeschmückten Baum,
an dem auch unter so viel Dingen kleine Glöckchen zart erklingen.
Ferner Holzfiguren, bunt lackiert und ein Strohstern, der die Spitze ziert.
Und davor, ganz brav und fein warten Kinder schon im Kerzenschein.
Große Augen, die wie Sternenlichter strahlen über glühende Gesichter

Das beflügelt unsren Weihnachtsmann, der jetzt nicht mehr warten kann, steigt hoch hinauf aufs weiße Dach und – was ist das? Oh je, oh … Krach!
Was ihm geschieht, begreift er nicht! Er stürzt in einen Sog aus Licht und Donner wie Kanonenschläge.
Da dämmert’s bald dem Alten träge: Die dumpfen Töne, das kann nur das Schlagen sein der Zimmeruhr!
Und wie durch Nebelschwaden, die verfliegen, sieht er sich noch zu Haus‘ im Bette liegen!
Noch ganz verwirrt, begreift er kaum: dass alles eben – war ein Traum!
Und wie durch Nebelschwaden, die verfliegen, sieht er sich noch zu Haus‘ im Bette liegen!
Noch ganz verwirrt, begreift er kaum: dass alles eben – war ein Traum!

Und wie ein lästig Ungeheuer dröhnt weiter Lärm durch das Gemäuer.
Und verschlungen vom Strudel der Vergangenheit verliert sich die Erinnerung an jene gute, alte Zeit …

Ein müderer Blick auf das Zifferblatt verrät ihm, dass er wenig Zeit nur hat.
Bescherung soll sein noch dies Nacht, bis dahin muss sein alles den Kindern gebracht!

Und müde schwingt er sein Gebein aus dem Bett heraus in die Pantoffeln hinein.
Er richtet sich auf, hört Knochen knacken, und ganz verspannt ist auch sein Nacken.

Was hilft es da, heut‘ ist er dran, unser armer Weihnachtsmann!

Nur langsam rutscht er in die Stiefel, die zu breit, sieht sich über den Mantel, der zu weit,
und auch die Mütze hängt ganz schlapp von seinen grauen Haar ‘n herab.

Und in Gedanken ist er schon bei jenen Kleinen die nicht mehr an den Weihnachtsmann zu glauben scheinen, für die von diesem schönen Feste die Geschenke sind das Allerbeste.
Geschenke? Jene Sachen die er bringen soll, finden heut‘ die Kinder toll?

Sega-, Gameboy-, Videospiele, wünschen sich unendlich viele, sind total in deren Bann,
dass man kaum mit ihnen reden kann.

Doch eines riss ihn gar vom Hocker: Action-, Horror-, Gruselschocker!
Filme die die Ängste mehren, und die Seele mit verzehren.

Aber auch die andren Sachen können keine Freude machen:
Ninja-Schwerter, Monstertruppen, top-gestylte Barbie-Puppen, Musik aus ’nem Knopf im Ohr,
– nur die Narrenkappe kommt nicht vor …
Traurig denkt der Weihnachtsmann, das alles gar nicht wahr sein kann.

So schlurft er los mit kleinen Schritten hinaus in den Hof zu seinem Schlitten.
Und ohne, das er’s wahrgenommen, hat das Gespann die Fahrt aufgenommen. Kaum hat er die Wolkendecke durchbrochen, hätte er sich am liebsten wieder zu Haus verkrochen:Gyros-, Fritten-, und Hamburgerduft strömen nach draußen in die schon stinkige Luft.
Leuchtreklame, die ganz hektisch blitzen, Disco-Musik lärmt aus Fensterritzen,
Blechkarossen die sich zu jagen scheinen, Kinder ganz alleine hinter Türen weinen,
Menschen ohne Menschlichkeit, – und das in der Weihnachtszeit …

Lustlos hat der alte Mann die Fracht bald allen Bälgern ins Haus gebracht. Lediglich ein kleines Haus steh auf seine Tour noch aus. Und als er in dem kleinen Garten lässt die Tiere mit dem Schlitten warten,
hört er ganz leise von da drinnen flüsternd fragend Kinderstimmen:
,,Ob der liebe Weihnachtsmann uns vergessen haben kann? Oder waren wir nicht brav, dass er uns nichts bringen darf?“ Leise pirscht sich unser alter Mann an das kleine Fenster ran, sieht – wie kurz zuvor in seinem Traum – einen wunderschönen Tannenbaum, bunt geschmückt mit vielen Dingen,
kleinen Glöckchen, die ein Lied anklingen, goldene Nüsse – und zu viert ein Engels-Chor die Spitze ziert.
Und davor, ganz brav und fein, sitzen drei Kinder im Kerzenschein.

Wehmut wergreift den Weihnachtsmann, dass er kaum die Tränen unterdrücken kann.
Dabei wird ihm warm ums. Herz, vergessen ist der Seelenschmerz.

Aufgeweckt zu neuem Leben, dass es sowas kann noch geben, kramt er in der Lammfell-Weste nach seiner großen Weihnachtsliste, auf der von jedem kleinen Kind die Wünsche aufgeschrieben sind.

Bei diesen drei Kindern liest er dann: ,,Ach bitte, lieber Weihnachtsmann, bring mir ’nen Kaufmannsladen.“
,,Und mir eine Puppe noch zum Baden.“ ,,Und unsrer kleinen Schwester hier, wünscht sich ’nen Teddybär von dir.“

Nachwort:
Was meint Ihr, ob der Weihnachtsmann, solang‘ es Kinder gibt wie jene drei, den Heiligen Abend vergessen kann?
Wir werden sehen, wenn wieder isst ein Jahr vorbei …